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Verfasst u. a. für „ADAC motorwelt“ (erschienen April 2004), „Deutsches Ärzteblatt“ (08.02.2002), „mobil“ (April 2004), „Tagesspiegel“ (30.09.2001)

Kultur und Nightlife im reinsten Spanisch
Salamanca, das Mekka der Sprachstudenten, macht als europäische Kulturhauptstadt 2002 auf sich aufmerksam

Für die Störche ist Salamanca nichts weiter als ein erstklassiger Nistplatz – bei all den Türmen! Zwei Kathedralen, der Konvent von San Esteban und zahlreiche Kirchen – darunter die ausladende Clerecía – recken sich in den Himmel. Riesige Nester kleben an den schimmernden Sandsteingemäuern, die der Stadt im Herzen Kastiliens den Beinamen "die Goldene" eingebracht haben. Und jetzt darf sich Salamanca als europäische Kulturhauptstadt 2002 auf neugierige Besucher freuen.

Nicht, dass sie das nötig hätte – im Sommer, wenn Kastiliens Sonne am heissesten glüht, erobert eine internationale Studentenszene die altehrwürdige Universitätsstadt. Salamanca kommt dann nicht mehr zur Ruhe, weder am Tag noch in den feuchtfröhlich durchzechten Nächten. Zur Geisterstunde hallt ein babylonisches Sprachgewirr durch die Gassen, französisches Juchzen mischt sich mit amerikanischem Johlen, und dazu wummern Techno-, HipHop- und Reggae-Rhythmen in den Patios und Palästen.

Am Morgen verwandeln sich die Nachtschwärme in ein müdes Häuflein Schüler aus aller Herren Länder zurück, die eines gemeinsam haben: Sie sind eigentlich der Sprache wegen hier. Neben Valladolid, Kapitale in der Region Castilla y León, gilt Salamanca als lupenreine Hochburg der Amtssprache Castellano. Für Ausländer, die Spanisch lernen wollen, werden seit 1929 Kurse angeboten. Im ersten Jahr waren nur elf Studenten gekommen, inzwischen sind es mehr als 6.000, alleine an der Universidad. Rund 50 Prozent stammen aus dem europäischen Ausland, die andere Hälfte reist zumeist aus Nordamerika an.

Dreh- und Angelpunkt von Salamanca ist die Universität. Bei Einheimischen heisst sie einfach La Universidad, obwohl es daneben noch eine zweite Uni, die dem Vatikan unterstellte Pontificia, gibt. 1218 gründete Alfonso IX. das Estudio General Salmantino. Damit legte er den Grundstein zu Spaniens erster Universität, die mit Bologna, Paris und Oxford zu den ältesten Europas zählt. Das heutige Sandsteingebäude mit großem Kreuzgang wurde allerdings erst um 1415 errichtet. Ein reiches Bildprogramm schmückt die Fassade an der Calle Libreros.

Neben solch historischen Prachtbauten und einem breiten Kulturangebot wartet Salamanca mit einem regen Nachtleben auf. Entlang der Gran Vía und an der Calle de Bordadores in der Altstadt ballen sich zahllose Diskotheken auf engstem Raum. "Camelot" mit seinem Sado-Maso-Touch ist zur Zeit besonders beliebt. Takashi mag die Clubatmosphäre im "Gatsby" und Sophie geht gerne ins "Amadeus".

Nach durchtanzten Nächten trifft man sich zur heißen Schokolade auf der Plaza Mayor. Dort fingert die Morgensonne über Säulen, Bögen und Medaillons. An der Westfassade setzt sie dem Portraitkopf des Schriftstellers Miguel de Cervantes (1547–1616) Spitzlichter auf. Erst gegen Abend ist die Galerie spanischer Könige an der Ostwand dran, wo ganz links immer noch Franco hängt. Kurz vor Sonnenuntergang glühen ihre Gesichter rot auf wie Holzscheite in einem Backofen. Wieder ist es der Sandstein, der diesem Schauspiel seinen einzigartigen Reiz verleiht.

Manchmal scheint es, als würden Vergangenes und die prickelnd junge Gegenwart gelassen an einander vorbeiziehen. Am frühen Abend trifft man sich in Grüppchen auf den samtigen Grünflächen an der Plaza Anaya. Wie im Bilderbuch spannt sich das Panorama historischer Baustile von der spätgotischen Kathedrale und deren Renaissancekuppel bis zur barocken Clerecía, zu der auch Salamancas zweite Universität, die Pontificia, gehört.

Zuweilen ist es nur ein winziger Schritt, der die Vergangenheit von der Gegenwart trennt. Beispielsweise jener über die Türschwelle ins Convento de las Dueñas, fort aus der Hitze und hinein in die Kühle eines Klosterhofs. Dort scheint die Zeit stillzustehen. Schmuckstück ist der Claustro mit Kapitellen aus verrenkten Ungeheuern und menschlichen Wesen, deren Körper weit über die Säulenschäfte hinausragen. Ein paar maurische Kachelreste sind auch noch übrig.

Wer sich hier vom nächtlichen Rummel erholen will, findet im Kloster ein Bett, einen Schrank, ja sogar einen Schreibtisch. Vom Nachtleben ist dann nur das Wummern der Bässe auf der nahen Gran Vía zu hören. Allerdings gilt das preisgünstige Angebot der Dominikanerinnen ausschließlich für Frauen. Und wer im Kloster übernachten will, muss vor Mitternacht zu Hause sein – oder bis zum Morgengrauen durchhalten. Die Pforte wird nämlich erst wieder um acht Uhr früh geöffnet.

Als kulinarischer Tipp ganz in der Nähe empfiehlt sich "El Chapeau" mit freundlichem Service und raffinierter Tageskarte. Vielleicht bleibt dann noch Zeit für einen Drink im originellen "Café Moderno", das ganz im Stil einer Bahnstation eingerichtet ist.

Jenseits der breiten Paseos, die sich als Altstadtring an den historischen Wällen entlangziehen, wirkt Salamanca wenig museal. Im Parque de los Jesuitas östlich des Stadtzentrums zum Beispiel, wo dienstags Tangoklänge durch die Grünanlagen wehen: Senioren feiern mit einer Musikkapelle ihren Tanztee. Oder an der nördlichen Plaza de Gabriel y Galán, wo sich Einheimische, darunter auch salmantinische Studenten, am späten Samstagnachmittag zum raschen, aber stilvollen Imbiss treffen.

Mit der Sandsteinpracht im historischen Zentrum indessen können die glatten Hochhäuser dieser Gegend zwar ästhetisch nicht mithalten, doch hier draußen stößt man auf eine ganze Häuserzeile voller Tapas-Bars, zu der auch das versteckte „El Momento“ gehört. „Ambiente selecto" steht auf dem Visitenkärtchen, obwohl die Inneneinrichtung nicht unbedingt erlesen wirkt. Dafür zeugt sie – wie so vieles in Kastilien – von konsequentem Stilbewusstsein und treffsicherem Geschmack. Das alles macht neugierig, und zwar umso mehr, als Salamanca neben Madrid und San Sebastián als Hauptstadt des tapeo, des kneipenbummelnden Häppchenessens gilt.

Tapas zu servieren ist eine hohe Kunst. Vor allem muss es schnell gehen – von der Konzentration des Barmanns hängt ab, ob die Häppchen im passenden Moment oder zur Unzeit auf dem Teller landen. Von seinem siebten Sinn, ob das Essen eine gesellige Runde inspiriert oder nicht. Jedes Tapas-Lokal serviert ein breites Sortiment an Finger-Food, angefangen bei Distel (cardo), einst ein Arme-Leute-Essen, über Tortilla-Spezialitäten wie Farinato bis hin zu scharfen Paprika (Pimientos del piquillo). Wer als weiblicher Gast Glück hat, verlässt das Lokal mit dem schmeichelhaften Beinamen reina, Königin, und braucht nichts zu bezahlen – abgesehen vielleicht von einem symbolisch gemeinten Glas Wein. Entsprechend großzügig sollte dann das Trinkgeld ausfallen...

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